Warum lässt Gott mich leiden?

Eli, Eli, lama sabachtani?“

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Jesus Christus am Kreuz von Golgatha

Leid ist nicht immer selbst verursacht. Oft trifft uns Leid aus heiterem Himmel, nie passt es zu unseren Plänen und Vorstellungen. Und doch trifft es jeden von uns. Den einen nur oberflächlich, den anderen bis zur Verzweiflung.
Warum müssen wir leiden? Wie passt das zum liebenden Gott? Ja, wie kann Gott mich lieben und mich trotzdem leiden lassen?

Manche wenden sich im Leid enttäuscht von Gott ab, erklären voller Wut den für tot, der aus ihrer Sicht Schuld ist am Leid. Andere wenden sich im Leid ganz intensiv Gott zu, suchen Hilfe und Trost bei dem, der ihr Leid wenden und beenden kann.

Leid scheint Menschen zu drängen, sich bezüglich ihrer Beziehung zu Gott zu positionieren. Wie ein Katalysator, der unsere tiefsten Entscheidungen beschleunigt; vielleicht auch wie ein Prüfstein, ob das Fundament unseres Lebens trägt.

Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln!  Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund.

Die Bibel, Psalm 84, 6+7

Eine neue Perspektive auf unser Leid

Nie hat ein Mensch so sehr und so unschuldig gelitten wie Jesus Christus. Selbst an tödlichen Krankheiten leidende Kinder übertreffen sein Leid nicht. Unser eigenes Leid steht weit entfernt von der Dimension der Leiden Christi. Doch gerade hier, im Blick auf das Kreuz Jesu, liegt eine erstaunliche, neue Perspektive auf unser Leid:

Ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wem sein eigenes Leben über alles geht, der verliert es. Wer aber in dieser Welt sein Leben loslässt, der wird es für das ewige Leben in Sicherheit bringen.

Die Bibel, Johannes 12, 24+25; Jesus Christus, kurz vor seinem Kreuzestod

Der “Mann der Schmerzen, der mit Leiden vertraut ist”, wie Jesus Christus im prophetischen Vorausblick bereits im Alten Testament genannt wird (Jesaja 53, 3), bringt Leid und Tod in Verbindung mit Frucht und mit ewigem Leben. Er spricht von einem höheren Ziel, von der Notwendigkeit, in der Frage des Leides den Betrachtungsumfang weit über den Tod hinaus auszudehnen.

Ob ein Buch gut oder schlecht ausgeht, weiß man erst am Ende. Solange das Ende unbekannt ist, kann die Beurteilung immer nur eine Vermutung sein. Beim Beurteilen von Leid besteht eine ähnliche Situation: Meist wird nur bis zum Tod geschaut. Laut Bibel ist der Tod aber nicht das Ende, noch nicht einmal die erste Hälfte, sondern nur der Auftakt zur Ewigkeit.

Viele Menschen, die durch eine Zeit des Leids gegangen sind, sagen rückblickend, dass diese Zeit ihnen trotz allem geholfen hat, das Leben besser zu führen, weil sie sich dadurch auf die wichtigen Dinge ausgerichtet haben.

Kann Leid positiv sein?

Das Prinzip von Invest und Ertrag ist uns grundsätzlich geläufig. “Von nichts kommt nichts” sagt die Redewendung. Wer die Anstrengung scheut oder aus anderen Gründen zögert, mehr zu geben, wird im Sport wie im Beruf höchste Ziele nicht erreichen können. Sollte dieses Prinzip auf die Frage des Leides übertragbar sein? Sollte Gott also das Leid im Sinne eines Invests zulassen, um dem Leidenden eine anders nicht erreichbare Zukunftsqualität zu ermöglichen?

Im Blick auf das Kreuz Jesu, liegt eine erstaunliche, neue Perspektive auf das Leid.

Dass Leid uns nicht zerstören muss, sondern in der Langfristperspektive sogar etwas überragend Positives bewirken kann, ist kein Automatismus. Dieser “Gamechanger” der Leidfrage ruht auf dem Opfer von Jesus Christus. Es wird uns zugänglich in der vertrauensvollen Zuwendung zu Christus und in der Ergebung unter Gottes Willen:

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Die Bibel, Jesaja 53, 5+6; über den leidenden Christus

Denn Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht.

Die Bibel, Johannes 3,16

Sein Opfer ist die Grundlage, auf der uns Gott ewiges Leben schenkt und damit die Voraussetzung schafft, dass aktuelles Leid sich wandelt in bleibenden Gewinn. Darüber hinaus zeigt auch die Art und Weise, in der Jesus sein Leid ertrug, wie der beste Weg für uns aussieht, unser Leid zu ertragen. Im schwersten Moment beugte er sich unter Gottes Absicht mit den Worten “nicht mein, sondern dein Wille geschehe”. Da Leid nie nach unserem Willen ist, werden wir durch anhaltendes Leid (das wir nicht innerhalb unserer Möglichkeiten abstellen können) unweigerlich an eine entscheidende Weggabelung unseres Lebens geführt: Auf der einen Seite steht das Misstrauen gegen Gott (Gott als Feind wegen des Leids), auf der anderen Seite das Wagnis des Vertrauens in Gott. Wir werden herausgefordert, mit den Worten “Dein Wille geschehe!” unser Leben in dieser Welt loszulassen (s.o. Zitat aus Johannes 12, 25), indem wir unser Vertrauen auf Gott setzen. 

Persönliches und allgemeines Leid wird oft als Argument gebraucht, Gott nicht vertrauen zu wollen. Gerade dieser Schritt, das Leid mit all seinen Folgen im Vertrauen an Gott abzugeben, ist jedoch der Schlüssel, dem Leid den Stachel zu nehmen.

Unser Leid stellt damit nicht Gott die Vertrauensfrage, sondern uns selbst – ob wir ihm vertrauen wollen.

Dr. Hanns-Christian Hasenclever
Dr. Hanns-Christian Hasenclever